„Unsere Gesellschaft wird sich ändern müssen“
Podiumsdiskussion über Integration – Ausstellung zu Flucht und Ankunft endet.
Meersburg/sz Was nach der Ankunft auf die geflüchteten Menschen zukommt, wie Integration gelingen kann und wie Vorurteile abgebaut werden, darum ist es am Donnerstag bei einer Podiumsdiskussion gegangen, die im Rahmen der Ausstellung „Neu[seh]land | Geschichten von Flucht und Ankunft“ in der Galerie Bodenseekreis stattgefunden hat.
„Für mich ist Integration, dass dieser Mensch autonom ist, sowohl sprachlich als auch beruflich“, sagt Ramin Moin, Leiter des Flüchtlingsheims Fallenbrunnen in Friedrichshafen. Das sehen die Flüchtlinge offenbar auch so. „Die meisten wollen kein Geld von uns“, berichtet Moin. Für den Integrationsbeauftragten im Bodenseekreis Marvin Arnold steht das „Mitglied-Werden“ bei der Integration im Vordergrund – in Schulklassen, bei Arbeitskollegen und in der Nachbarschaft. Arnold vergleicht die Situation der heutigen Flüchtlinge mit derjenigen der Gastarbeiter in den 1950er Jahren: Damals sei man davon ausgegangen, dass die Arbeiter bald wieder gehen. Deshalb habe man den Faktor Bildung vernachlässigt. Das mache sich bis heute bemerkbar: Noch in der vierten Generation seien die Nachkommen der Gastarbeiter vor allem im Niedriglohn-Sektor zu finden.
„Heute müssen wir davon ausgehen: Die Leute bleiben da“, sagt auch Jo Schober vom Asylnetzwerk Tettnang. „Unsere Gesellschaft wird sich ändern müssen – das schadet uns ja auch nicht.“ Man könne nicht verlangen, dass die Flüchtlinge sich vollkommen anpassen, ergänzt Katrin Ziegler, Gründerin der Facebook-Gruppe Asylforum Bodensee. Es gehe vor allem darum, dass sie die deutschen Gesetze akzeptieren und möglichst bald selbstbestimmt leben können.
So wie die Flüchtlinge zu Integrationskursen verpflichtet werden, würde Ziegler gern die Einheimischen verpflichten, an den Begegnungsfesten der Helferkreise teilzunehmen. Viele Deutsche seien nicht bereit, ihre Vorurteile abzubauen. Auch Heimleiter Moin ärgert sich über „ferndiagnostische“ Stammtisch-Parolen: „Wer nie selber bei den Flüchtlingen war, der soll den Mund halten.“ Ressentiments beruhen nach seiner Erfahrung auf mangelhaftem Wissen.
Schober vom Asylnetzwerk Tettnang rät, nicht nur die Bürger zu Begegnungsfesten einzuladen, sondern auch die Flüchtlinge unter die Leute zu bringen. Zum Beispiel mit einem Stand auf dem Wochenmarkt, an dem arabisches Essen verkauft wird. „Eigentlich ist die Situation nicht so neu“, gibt der Integrationsbeauftragte Arnold zu bedenken. „Wir haben ja bereits eine multikulturelle Gesellschaft.“ 28 Prozent der Bevölkerung im Bodenseekreis haben einen Migrations-Hintergrund. Nur vier Prozent davon seien Flüchtlinge. Moderiert hat das Gespräch Stefan Feucht, Leiter des Kulturamts im Bodenseekreis.
Die Ausstellung „Neu[seh]land | Geschichten von Flucht und Ankunft“ in der Galerie Bodenseekreis im Roten Haus am Schlossplatz in Meersburg ist noch am Samstag und Sonntag, 30. April und 1. Mai, von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet vier Euro.
(Text: Schwäbische Zeitung vom 29.4.2016
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Machen sich Gedanken über Integration (von rechts): Jo Schober vom Asylnetzwerk Tettnang, Katrin Ziegler, Gründerin der Facebook-Gruppe Asylforum Bodensee, Marvin Arnold, Integrationsbeauftragter im Bodenseekreis, Ramin Moin, Leiter des Flüchtlingsheimes Fallenbrunnen in Friedrichshafen.
(Foto: Elke Oberländer)